Erfahrungsbericht von Julia

In Dokumentationen hatte ich viel über das Leben in den armen Teilen der Welt gesehen, in Büchern viel darüber gelesen. Aber nach meinem Abitur 2019 wollte ich es selbst sehen, denn ich hatte das Gefühl, dass die Probleme anderer erst dann für einen real werden, wenn man sie mit eigenen Augen gesehen, erlebt und vielleicht sogar GElebt hat. Über eine ehemalige Freiwillige stieß ich auf die Fundación Minadores de Sueños in Ecuadors Hauptstadt Quito. Dorthin kommen die Kinder aus dem Randviertel Rancho los Pinos täglich vor oder nach der Schule, um ihre Hausaufgaben zu machen, zu essen und zu spielen. Unsere Aufgabe als Volontäre würde es sein, sie bei ihrem Alltag zu begleiten, sprich, das refrigerio vorzubereiten, unsere Kenntnisse bei der Hausaufgabenhilfe einzubringen, aber auch eigene kreative Ideen umzusetzen. Das klang toll und das war es auch! Kaum angekommen durfte ich an meinem ersten Tag in der Fundación die Kinder kennenlernen, die auf mich zugerannt kamen und mich mit großen, neugierigen Augen ansahen. „Cómo se llama Señorita? De dónde viene?“ waren wohl die meistgestellten Fragen an diesem Tag – und andersherum genauso! Wie oft musste ich in den ersten Wochen nachfragen, wie die Kinder hießen, weil ich sie einfach nicht auseinander halten konnte! Fast alle hatten ähnlich dunkle Haare und Augen, gebräunte Haut, und dazu kam, dass sie untereinander verwandt waren! Da war Stiven, der hatte einen Cousin namens Sebastián, welcher wiederum einen kleinen Bruder, David, hatte,….  

Begleitet werden sie in ihrem Alltag von den educadoras, Melania und Roxi, die sich im Wochentakt entweder um die „Großen“ (5.-8.Klasse) oder die „Kleinen“ (1.-4. Klasse) kümmern. Mit ihnen haben wir in unseren sechs Monaten als Volontäre viel gearbeitet, sie haben uns Material zur Verfügung gestellt, individuelle Lernschwierigkeiten der Kinder erklärt und hatten mit viel Herzlichkeit ein Ohr für jede Frage. Neue Erfahrungen konnten wir jeden Tag sammeln: mit den Kindern in unseren Spiel- und Englischstunden, beim Einkaufen mit Alba auf dem Markt oder beim Renovieren des Dachs mit Don Juan und Paúl.  Die Arbeit auf dem Dach war sicherlich eines der verrücktesten Erlebnisse dort – wann steht man denn schon mal auf einem Dach und hat dabei noch fantastische Sicht auf drei schneebedeckte Vulkane?? 

Die Spiel- und Englischstunden haben mich persönlich das Meiste gelehrt, weil wir mit den Kindern in kleinen Gruppen gearbeitet haben und somit viel persönlichen Kontakt zu ihnen hatten. Die Idee war, ihnen auf spielerische Weise englische Begriffe zu vermitteln, wie zum Beispiel, Farben, Lebensmittel oder Grundsätze wie „My name is…“. Ein Highlight war für alle das Singen von „Merry Christmas“ vor Weihnachten – so sehr, dass wir es mit einer Kleingruppe in beiden Klassen aufführen konnten. Die Vorweihnachtszeit war toll, da das Arbeitsministerium ein Weihnachtsprogramm mit der Polizei organisiert hat. Den Kindern wurde in einem Puppenspiel vermittelt, dass sie nicht mit Fremden mitgehen sollen, es gab eine Quizrunde, Spiele und eine Vorführung der Hundestaffel, was für die Kinder etwas sehr Besonderes war. Auch die Fundación hat mit viel Engagement der Jugendgruppe einen Spieletag auf dem Fußballplatz organisiert, an dem die Kinder geschminkt wurden, Huckepack-Rennen veranstalteten und vieles mehr. 

Die schönsten Momente habe ich an solchen Tagen erlebt: das glückliche Kinderlachen, wenn sie keine kleinen Erwachsenen sein mussten, nicht den Anforderungen der Lehrer genügen mussten, sondern einfach nur spielen konnten. Genauso war es auch an meinen letzten Tagen im Projekt, als schon Fasnachtsferien und somit Ferienprogramm war. Am ersten Tag waren wir im Kino! Für die Kinder war es das erste Mal im Kino, jeder hat sich Chips und Getränke mitgebracht und nur für uns wurde ein Film vorgeführt. Alle waren aufgeregt und haben sich riesig gefreut. Am Tag danach ging es ins Schwimmbad – die wenigsten Kinder können schwimmen, deshalb war das Schwimmbecken sehr flach. Sie hatten allen Spaß dabei, sich gegenseitig nass zu spritzen, ins Wasser zu springen und akrobatische Experimente zu veranstalten. Beide Male lief auf der Rückfahrt im Bus Musik, das ist fast schon obligatorisch in Ecuador ;). Und jedes Mal, wenn der Hit des Monats lief, haben alle lauthals mitgesungen. 

Was für eine schöne Erinnerung an diese wunderbare Zeit, wenn ich das Lied heute wieder höre und gleichzeitig glückliche Kinderstimmen im Ohr habe.

Julia